Wie das Reisen die Wertschätzung fördern kann
Auf Reisen verändert sich der Charakter und man findet sich selbst! Solche Versprechungen fast schon drohender Art lassen sich sehr viel von Reiselustigen hören. Allerdings ist bei den meisten Aspekten auch wirklich etwas dran. Bei einer Reise werden dir schnell kulturelle, soziale, politische und religiöse Unterschiede auffallen. Wenn du negative oder neutrale Erfahrungen machst, entsteht natürlich ein positiver Eindruck dessen, was du von Deutschland gewöhnt bist.
Neben dem Aufbau von Toleranz kann man diesen Prozess als beginnende Wertschätzung ansehen. Das ist also die Dankbarkeit, die du genau dann empfindest, wenn dir etwas klar wird. Bei einer Reise wird dir sehr schnell bewusst, was du an zu Hause hast. Allerdings zeigen wir dir, dass diese offensichtliche Bewunderung nur eine von drei Arten ist, durch das Reisen Wertschätzung zu fühlen. Das Reisen an sich und die Reiseerlebnisse tragen ebenso dazu bei, dass du für mehr Dinge im Leben dankbar sein wirst.
Das Reisen wertschätzen
Zunächst solltest du dir vor Augen führen, dass es etwas ganz Besonderes ist, dass so viele Deutschen in der Lage sind, generell ins Ausland zu reisen. Dabei fahren einige mit Bahn oder Auto in die Nachbarländer, aber sehr viele steigen auch regelmäßig ins Flugzeug. Dabei kommt uns als reiche Europäer ein wahnsinniges Privileg zuteil, denn wir verfügen nicht nur über das nötige Kleingeld, sondern wir haben auch generellen Urlaubsanspruch, also eben auch Zeit zum Reisen.
In vielen Länder jenseits der Armutsgrenze gibt es fast keine gutbezahlten Jobs, aber auch keine fairen Arbeitsbedingungen, sodass ein Großteil der Weltbevölkerung jeden Tag einfach arbeiten muss und nie wirklich so etwas wie Freizeit hat. Oft kämpfen sie ums blanke Überleben und der Gedanke, einmal ein anderes Land zu sehen, kann gar nicht aufkommen.
Zudem gibt es in den meisten Staaten der westlichen Welt die erforderliche Infrastruktur, nämlich stark besuchte Flughäfen und natürlich auch genug Flugzeuge, um den immensen Bedarf der Tourismusbranche zu decken. Es gibt tatsächlich auch Regionen, die nur schwer aus dem Ausland erreichbar sind. Dementsprechend können diese Einheimischen auch nicht einfach ihre Heimat verlassen.
Auch dass die meisten von uns schon während der Schulzeit oder direkt nach dem Schulabschluss ins Ausland können, verdanken wir unserem flächendeckenden Wohlstand. Egal, ob der Aufenthalt durch die Eltern, durch Nebenjobs oder durch Förderprogramme wie BAFöG oder Erasmus finanziert wird, es gibt fast immer einen Weg aus Deutschland. Das ist global gesehen wirklich keine Selbstverständlichkeit.
Reisen ist und bleibt ein Privileg der reichen Menschen. Vielen anderen Völkern wird es nie ermöglicht, etwas Neues von der Welt zu sehen. Dies wird auch durch einige Einreisebeschränkungen gewisser Nationalitäten sowie die fehlende Möglichkeit eines Reisevisums vertieft. Der deutsche Reisepass ist einer der Mächtigsten weltweit und dir stehen auch hier nahezu alle Türen offen.
Durchs Reisen Zuhause wertschätzen
Doch beim Reisen an sich hört die Wertschätzung nicht auf. Erst, wenn du möglichst weit weg von der Heimat bist, wird dir bewusst, was du die ganze Zeit für selbstverständlich erachtet hast. Das betrifft sehr viele verschiedenen Ebenen gleichermaßen. Die Offensichtlichste ist der Vergleich zwischen den Kulturen, Ländern und Leuten. Deutschland hat so viel zu bieten: Uns geht es finanziell gut, verhältnismäßig wenig Personen sind arbeitslos, von Armut betroffen oder obdachlos.
In anderen Erdteilen geht es dem Großteil der Bevölkerung sehr viel schlechter. Mit weitaus weniger Geld, Bildungsmöglichkeiten, Ressourcen, politischer und sozialer Freiheit oder Absicherung müssen die Menschen vielerorts zurechtkommen. In vielen Länder sind Probleme der Sicherheit, der Kriminalität oder der Korruption an der Tagesordnung. Dann gibt es Länder, in denen regelmäßig verheerende Klimakatastrophen herrschen, in denen es Krieg gibt, in denen Menschen verfolgt werden oder in denen die Grundrechter der Bürger nicht beachtet werden.
Deutschland ist wohlhabend, sicher und ein wahres Paradies der freiheitlichen Bürgerrechte. Theoretisch muss niemand hungern oder auf der Straße sitzen. Außerdem ist die Menschenwürde stets das oberste Gut, was es zu schützen gilt. Doch erst, wenn man das alles nicht mehr hat, merkt man wirklich, was einem fehlt. Einschränkungen in deiner Internetnutzung oder Probleme der Meinungsfreiheit werden dir schon als Tourist begegnen.
Es ist eben etwas ganz Anderes, arme und ausgedörrte Kinder im Fernsehen zu hören oder sie in Echt mit den eigenen Augen zu sehen. Bettelversuche der Locals sind natürlich erst einmal lästig, deuten aber auf eine grenzenlose Verzweiflung der Personen hin. Die Einheimischen sehen dich als Reisender eben als lukrative Geldquelle an.
Die Deutschen verstehen es gut, auf allerhöchstem Niveau zu meckern. Selbst wenn alles sonst in Ordnung ist, der typische Deutsche findet noch das Haar in der Suppe und steigert sich da absolut hinein. Vielleicht hast du auch bereits den Begriff „Luxusprobleme“ gehört und bei uns in Deutschland stimmt das auch wie in fast keinem anderen Land. Während sich EU-Normen damit beschäftigen, wie krumm Bananen sein dürfen, haben die exportierenden Länder der Bananen eventuell nicht genug Lebensmittel für deren Einwohner. Und während wir über eine Frauenquote diskutieren, wäre man woanders bereits froh, wenn Mädchen generell eine Schule besuchen könnten oder es gar eine Bildungsstätte gäbe.
Nachdem du Armut, Militärregimes und Kriminalität am eigenen Leib erlebt hast, weißt du, wie unbeschwert man durch Deutschland spazieren kann. Die Bewusstmachung der besonderen europäischen Stellung ist hier der Schlüssel zur Dankbarkeit. Allerdings muss man das gar nicht so global sehen. Du hast auf deinen Reisen ganz bestimmt deine Familie und Freunde vermisst.
Somit hast du auch dein persönliches soziales Umfeld schätzen gelernt und freust dich umso mehr, deine Liebsten bald wieder in die Arme zu schließen. Auch hier gilt die Faustregel, man merkt nur, wie wichtig etwas wirklich ist, bis es nicht mehr verfügbar ist. Selbstverständlich können auch Kollegen, Nachbarn, Bekannte oder Partner dafür sorgen, dass du Heimweh bekommst und vielleicht darüber nachdenkst, was dir gerade entgeht.
Das ist ebenfalls ganz normal, denn du beginnst eben, dein bisheriges Leben wertzuschätzen. Du wirst vorher wertloses Münzgeld mit anderen Augen sehen können und sehr schnell wirklich nachdenklich über diese gravierende Ungerechtigkeit. Alles ist wieder einmal eine Frage der Relation.
Durchs Reisen das Wertschätzen mitnehmen
Falls du also dankbar bist, dass du reisen darfst und dann auch, was du an deiner deutschen Heimat hast, wirst du bestimmt auch in Versuchung kommen, die letzte Ebene der Wertschätzung auch zu verinnerlichen. Nach deiner Reise nämlich siehst du nicht nur, welche Vorteile es in unserer Gesellschaft gibt, sondern auch vielleicht in die andere Richtung. Du hast auf deiner Reise eventuell Verhaltensweisen oder kulturelle Traditionen kennenlernen dürfen, mit denen du dich in gewisser Weise identifizieren kannst.
Dieser Charakterzug oder diese Eigenschaft packst du sozusagen mit in den Koffer ein und bringst ihn für deinen Alltag hier wieder mit. Vielleicht ist es die lockere Lebensweise, die du während deines Abenteuers schätzen gelernt hast, oder doch eine typische Kommunikation, die du auf jeden Fall weiterhin so pflegen möchtest. Dann bist du also wieder dankbar, deine Reise gemacht zu haben, aber nicht um des Reisens Willen, sondern für die ganz speziellen Erfahrungen, die du sammeln durftest.
Zukünftig bist du nach einer lebensverändernden Reise etwas sensibilisierter, wenn du in den Nachrichten andere Länder siehst. Dir wird wieder in Erfahrung gerufen, wie einschneidend und lehrreich dein Auslandsabenteuer war und was du persönlich über dich und andere gelernt hast. Ganz sicher kann man im Nachhinein besser Wertschätzung empfinden. Jemand, der sein Heimatdorf nie verlassen hat, kann sicherlich auch dankbar sein für alles. Allerdings hat er ja keinerlei Vergleichsmöglichkeit und kann seine jetzige Situation gar nicht in Relation sehen. Nur wer bereits über den Tellerrand hinausblicken durfte und seinen Horizont erweitert hat, kann besser Empathie und soziale Kompetenz aufbringen, um die Lebensumstände anderer Leute nachzuvollziehen.
Reisen bringt einen also etwas auf den Boden der Tatsachen zurück und kann dich auch langfristig erden. Wahrscheinlich hat sich auch dein Bild über weitentfernte aktuelle Probleme geändert, da du sie ja bereits mittendrin erlebt hast. Dies fördert in gewisser Weise auch deine Fähigkeit, Mitgefühl oder Mitleid zu empfinden. Ebenfalls kann ein schlechtes Gewissen dazu führen, dass du dich auch in deiner Heimat sozial engagieren möchtest, um die Situation deines Gastlandes zu verbessern. Es ist eben wichtig, auch etwas zurückzugeben.
Fazit
Nur derjenige, der seine Komfortzone im wohlbehüteten Zuhause verlässt und sich auf eine andere Kultur einlässt, der wird zumindest eine der Wertschätzungsebenen erleben können. Wir in Deutschland machen uns zu wenig bewusst, wie gut es uns geht. Damit meinen wir nicht nur die finanzielle und gesellschaftliche Stellung, sondern für uns ist auch das Reisen per se eine absolute Selbstverständlichkeit und Personen, die ihren Urlaub gerne auf Balkonien verbringen, werden oft belächelt.
Extrem vielen Ländern geht es nicht nur schlechter als uns, sondern einem Großteil der Weltbevölkerung wird nie das Privileg des Reisens ermöglicht – dazu haben die betroffenen Personen eben weitaus gravierendere Probleme. Auch während deiner Reise solltest du dir vor Augen halten, dass es bei uns zwar so scheint, als könnte jeder durch die Weltgeschichte reisen, aber es ist immer noch ein wahnsinniges Glück, dass du einfach für eine bestimmte Zeit die Zelte abbrechen kannst.
Wir haben versucht, dich etwas für die Dankbarkeit zu sensibilisieren. Versuche jetzt, alltägliche Dinge, die du immer für selbstverständlich genommen hast, ganz bewusst zu betrachten und dann einfach einmal dankbar dafür zu sein. Finde also etwas, wovon andere nur träumen können und du wirst automatisch glücklicher – Versprochen!
Marvin Erdner